Dienstag, 14. September 2010

Zwischenruf

Auch im Zwischenraum meines derzeitigen Schwebezustandes soll aus aktuellem Anlass ein wenig Zeit für ein Schmunzeln bleiben ...



Zur selben Frage hier ein sehr nettes Interview der Zeit vom 9.9.:

In den Vereinigten Staaten ist Atheismus mittlerweile ein derartiges Stigma, dass er politische Karrieren verhindert. Keinen Gott zu haben ist schlimmer als schwarz, muslimisch oder homosexuell zu sein. Nur 37 Prozent der Amerikaner würden einen Atheisten als Präsidenten akzeptieren. Denn Atheisten gelten als intolerant, unmoralisch und blind für die Schönheit der Natur. Erinnert sich noch jemand an John Locke, den Vater der Aufklärung, der die Atheisten verdammte, weil sie sich angeblich durch "Bündnisse, Pakte und gesellschaftliche Abkommen nicht binden lassen"? Locke lebte vor über dreihundert Jahren. In den USA scheint sich seither wenig ge.ndert zu haben. Vielleicht wird es Zeit, dass ein Atheist einmal die populärsten Mythen über uns Gottlose widerlegt.

1. Atheisten halten das Leben für sinnlos
Nein. Gläubige Menschen sind es, die sich vor der Sinnlosigkeit fürchten und im Jenseits ewige Glückseligkeit erhoffen. Wir Atheisten halten das Leben für etwas Kostbares. Unsere Beziehungen zu den Menschen, die wir lieben, haben jetzt Bedeutung. Das Leben muss nicht ewig währen, damit es kostbar ist.

2. Der Atheismus ist schuld an den größten Verbrechen der Geschichte
Christen behaupten gern, die Verbrechen Hitlers, Stalins, Maos und Pol Pots seien die zwangsläufige Folge von deren Unglauben gewesen. Das Problem an Faschismus und Kommunismus war aber gerade nicht, dass sie die Religion ablehnten, sondern dass sie der Religion zu ähnlich waren. Weil die totalitären Regime von Dogmen durchdrungen waren, wurden Massenmord und die Verfolgung Andersdenkender möglich. Es hat übrigens noch keine Gesellschaft gegeben, die an der Vernunft ihrer Mitglieder gescheitert wäre.

3. Der Atheismus ist dogmatisch
Man muss nicht dogmatisch sein, um religiöse Lehrsätze zu verwerfen. Wie der Historiker Stephen Henry Roberts (1901 bis 1971) einmal sagte: "Ich behaupte, dass wir beide Atheisten sind. Ich glaube nur an einen Gott weniger als Sie. Wenn Sie vernünftige Gründe nennen könnten, warum Sie all die anderen möglichen Götter ablehnen, würden Sie auch verstehen, warum ich Ihren ablehne."

4. Atheisten glauben, dass alles im Universum durch Zufall entstand
Niemand weiß, warum das Universum entstand. Tatsächlich ist nicht einmal sicher, ob
wir überhaupt sinnvoll von einem "Beginn" oder einer "Erschaffung" sprechen können, weil sich diese Vorstellungen auf das Konzept der Zeit beziehen. Es geht hier nämlich um den Ursprung der Raumzeit selbst. Auch wenn wir nicht genau wissen, wie aus den frühen chemischen Prozessen auf der Erde eine Biologie hervorging, vermuten wir doch, dass die Vielfalt der lebendigen Welt kein Produkt blinden Zufalls ist. Evolution bedeutet einen Mix aus zufälliger Mutation und natürlicher Auswahl. Auf die Formel von der "natürlichen Auswahl" kam Darwin durch die "künstliche Auswahl" der Viehzüchter. Beides hat nichts mit Zufall zu tun.

5. Der Atheismus ist unwissenschaftlich
Obwohl auch Wissenschaftler an Gott glauben, untergräbt wissenschaftliches Denken offenbar den Glauben. In den Vereinigten Staaten glauben fast 90 Prozent der Bürger an einen peröhnlichen Gott – 93 Prozent der Mitglieder der National Academy of Sciences hingegen tun das nicht.


6. Atheisten sind arrogant

Wenn Wissenschaftler etwas nicht wissen – warum das Universum entstand oder wie sich die ersten Moleküle bildeten –, dann geben sie es zu. So zu tun, als wisse man etwas, was man nicht weiß, ist in der Wissenschaft keine lässliche Sünde. Anders in den Religionen. Eine kolossale Ironie des religiösen Diskurses ist der Stolz gäuubiger Menschen auf ihre Bescheidenheit, während sie zugleich ein endgültiges Wissen über kosmologische Welttatsachen beanspruchen. Wenn Atheisten über ihren Platz im Universum nachdenken, ziehen sie wissenschaftliche Fakten zurate. Dies ist keine Arroganz, sondern intellektuelle Redlichkeit.

7. Atheisten sind taub gegenüber spirituellen Erfahrungen
Es gibt nichts, was uns Atheisten daran hindert, Liebe, Ekstase, Verzückung und Ehrfurcht zu empfinden. Auch Atheisten können danach streben, solche Erfahrungen zu machen, die über das Rationale hinausgehen. Was wir normalerweise jedoch nicht tun: auf der Grundlage solcher Erfahrungen ungerechtfertigte Behauptungen über die Wirklichkeit aufstellen. Es steht außer Frage, dass manche Christen, indem sie die Bibel lesen und zu Jesus Christus beten, in Verzückung geraten und ihr Leben zum Besseren ändern. Was beweist das? Es beweist, dass bestimmte Übungen und ein bestimmtes Verhalten eine tief greifende Wirkung auf den menschlichen Geist haben kann. Aber lassen die Erweckungserlebnisse von Christen darauf schließen, dass Jesus der alleinige Erlöser der Menschheit ist? Nicht im Mindesten – weil Hindus, Buddhisten, Muslime und sogar Atheisten regelmäßig vergleichbare Erfahrungen machen.

8. Atheisten behaupten, dass es nichts gibt, was den menschlichen Verstand übersteigt
Atheisten können die Grenzen des Verstandes sehr wohl anerkennen. Denn es ist offensichtlich, dass wir das Universum nicht gänzlich verstehen. Und wir haben keine Ahnung, ob es irgendwo im Kosmos komplexe Lebensformen gibt, die vielleicht ein Verständnis der Natur entwickelt haben, das unser Wissen weit übersteigt. Aus atheistischer Perspektive trivialisieren die Weltreligionen die Schönheit und Unermesslichkeit des Universums.

9. Atheisten wollen nicht sehen, wie vorteilhaft die Religion für eine Gesellschaft ist
Wer die positiven Effekte der Religion betont, sollte sich trotzdem klarmachen, dass derlei Effekte kein Beweis für die Richtigkeit einer Glaubenslehre sind. Deshalb verfügen wir über Ausdrücke wie "Wunschdenken" und "Selbstbetrug". Zwischen einer tröstlichen Einbildung und der Wahrheit besteht ein gravierender Unterschied. Übrigens lassen sich die positiven Auswirkungen der Religion durchaus bestreiten. Das Christentum bietet viele schlechte Gründe, sich gut zu verhalten. Was ist moralischer: den Armen zu helfen, weil mich ihr Leid empört, oder weil ich glaube, dass Gott mich für meine Milde belohnen und für Hartherzigkeit bestrafen wird?

10. Der Atheismus kennt keine Moral
Wer leugnet, dass Grausamkeit falsch ist, der wird nicht unbedingt bekehrt werden, indem er die Bibel oder den Koran liest – Bücher, die gespickt sind mit Verherrlichungen menschlicher wie göttlicher Gewalt. Wir verdanken unsere Moral nicht der Religion. Wir selbst entscheiden, was in unseren guten Büchern gut ist, indem wir unserer moralischen Intuition folgen, die anscheinend zur biologischen Ausstattung gehört. Jedenfalls wurde sie während jahrtausendelangen Nachdenkens über die Möglichkeiten menschlichen Glücks ganz offensichtlich verfeinert. Was gut ist in der Heiligen Schrift, kann um seiner ethischen Weisheit willen geschützt werden, ohne dass wir glauben müssten, Gott habe es uns verkündet.

Aus dem Englischen von MICHAEL ADRIAN

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Zuletzt aktualisiert: 17. Apr, 22:14

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